Wien/Zell am See (pts024/11.05.2017/11:40) – Die Liste der Schmerzleiden ist lang – und wird parallel zur steigenden Lebenserwartung immer länger: Laut letztem Gesundheitsbericht aus dem Jahr 2014 leidet jeder vierte Österreicher über 15 an rezidivierend auftretenden Rückenschmerzen. Beinahe ein Fünftel der Bevölkerung klagt über immer wieder auftretende Beschwerden an der Halswirbelsäule. Elf Prozent der unter 60-jährigen Frauen geben an, innerhalb der letzten 12 Monate an wiederkehrenden Kopfschmerzen gelitten zu haben. Arthrose verursacht im Durchschnitt bei acht Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer Schmerzen, unter den 60- bis 74-Jährigen sind jedoch schon jede dritte Frau und jeder fünfte Mann betroffen.
Das stellt aber nur die Basis des Volksleidens Schmerz dar. An der Spitze stehen rund 340.0000 Patientinnen und Patienten, deren Schmerzen sich – allzu oft durch zu lange Nichtbehandlung – im Sinne einer eigenständigen Schmerzkrankheit verselbständigt haben. „Diese komplexen, mit körperlichen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen assoziierten Schmerzleiden erfordern multimodale Strategien und müssen in der Regel in spezialisierten Einrichtungen behandelt werden“, erklärt anlässlich der Jahrestagung vom 11. bis 13. Mai in Zell am See der scheidende Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), OA Dr. Wolfgang Jaksch.
Keine flächendeckende Versorgung für die Volkskrankheit Schmerz
Anders als in vergleichbaren Ländern gibt es in Österreich aber keine flächendeckende Versorgung für chronische Schmerzpatienten. Derzeit gibt es bundesweit weniger als 40 Schmerzambulanzen, etliche davon haben aber gerade noch drei Stunden pro Woche geöffnet. Rechnet man die verfügbaren Ambulanzstunden auf einen 40-Stunden-Betrieb um, so steht den Schmerzkranken ein Äquivalent von nur 17,5 Schmerzambulanzen zur Verfügung. „Derzeit bekommen fast drei Viertel aller chronischen Schmerzpatienten keine ambulante Schmerztherapie“, fasst Dr. Jaksch die Lücke zwischen Soll- und Ist-Bedarf zusammen. „Für eine Vollversorgung fehlen 50 vollzeitbetriebene Ambulanzen.“
Obwohl dieses Missverhältnis seit Jahren bekannt ist, wird weiter ab- statt ausgebaut: Allein in den letzten fünf Jahren wurden neun Schmerzambulanzen wegen fehlender Personal- oder Zeitressourcen geschlossen. In neun weiteren Krankenhäusern wurde der Ambulanzbetrieb um mehr als die Hälfte reduziert.
Einrichtungen, die Schmerzen allumfassend behandeln, fehlen nahezu völlig. Derzeit bietet nur die – im Rahmen eines Reformprojekts aber auch nur zeitlich begrenzt finanzierte – Tagesklinik am Klinikum Klagenfurt dieses moderne Therapiekonzept an. „Dabei ist längst klar, dass ein für alle Patienten erfolgreiches Schmerzmanagement nur durch eine enge Kooperation im Rahmen interprofessioneller Diagnose- und multimodaler Therapiekonzepte erreicht werden kann“, fasst Dr. Jaksch den Stand der internationalen Forschung zusammen.
Schmerztherapie von Krankenkassen kaum honoriert
Die niedergelassenen Ärzte können diese Defizite nicht kompensieren: Nicht nur gibt es immer weniger Kassenärzte, eine Schmerzbehandlung, die über das Ausstellen von Rezepten hinausgeht, wird von den Krankenkassen auch so gut wie nicht honoriert. „Die Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronischen Schmerzen ist zeitlich aufwändig und wird im Leistungskatalog der Allgemeinmediziner de facto nicht abgebildet“, kritisiert Dr. Jakschs Nachfolgerin als ÖSG-Präsidentin, OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer.
ÖSG legt Konzept für Neustart der Schmerzversorgung vor
Angesicht der prekären Lage plädiert die künftige ÖSG-Präsidentin für einen grundlegenden Neustart: „Die Lösung kann nur in einer strukturellen Verankerung der Schmerzmedizin im Gesundheitssystem bestehen“, erklärt Dr. Grögl-Aringer. „Die Österreichische Schmerzgesellschaft will dazu ihren Beitrag leisten und hat als ersten Schritt zur Verbesserung ein Konzept zur abgestuften Versorgung von Schmerzpatienten erarbeitet, das Leistungs- und Qualitätsstandards unterschiedlicher schmerztherapeutischer Einrichtungen definiert“.
Das Papier (i), das gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften in Unterstützung des Bundesinstituts für Qualität im Gesundheitswesen (ÖBIQG) erstellt wurde, beschreibt von der Ausstattung über die personelle Besetzung bis zu den Fallzahlen detailliert, was auf jeder einzelnen Stufe einer abgestuften Versorgungskette bereit gestellt werden sollte. Diese fängt bei gebietsbezogenen allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Praxen an, setzt sich über Schmerzambulanzen und Schmerztageskliniken fort, und mündet schließlich im interdisziplinären Schmerzzentrum. Zudem werden erstmals auch sogenannte schmerzpsychotherapeutische Einrichtungen vorgesehen, deren Notwendigkeit noch mit klinischen Psychologen, Psychotherapeuten und Fachärzten für Psychiatrie abgestimmt werden soll.
Neue ÖSG-Präsidentin fordert rasche Umsetzung
Trotz jahrelang ungehört bleibender Appelle hoffen die führenden Schmerzexperten auf eine rasche Umsetzung dieser Pläne: „Inzwischen müsste allen Verantwortlichen klar sein, dass wir es uns nicht mehr leisten können, die eklatanten Versorgungslücken weiter zu ignorieren“, appelliert Dr. Grögl-Aringer. „Angesichts der aus der ineffizienten Schmerzversorgung resultierenden enormen Kosten und einer ständig älter werdenden und damit schmerzanfälligeren Bevölkerung, müssen wir spätestens jetzt mit der flächendeckenden Umsetzung einer angemessenen schmerzmedizinischen Versorgungsstruktur beginnen.“
Die künftige ÖSG-Präsidentin verweist auf die Patientencharta, die zu diesem Thema festhält:
Artikel 7 (1) Diagnostik, Behandlung und Pflege haben entsprechend dem jeweiligen Stand der Wissenschaften bzw. nach anerkannten Methoden zu erfolgen. Dabei ist auch der Gesichtspunkt der bestmöglichen Schmerztherapie besonders zu beachten.
„Von dieser in der Patientencharta geforderten bestmöglichen Schmerztherapie, die dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entspricht und nach anerkannten Methoden erfolgen soll, sind wir meilenweit entfernt“, kritisiert Dr. Grögl. „Die Umsetzung dieses Anspruchs der Patienten auf bestmögliche schmerzmedizinische Versorgung werden wir solange verfolgen, bis wir sie erreicht haben.“
Das Papier: (i) Jaksch et al, Qualitätssicherung der schmerzmedizinischen Versorgung in Österreich. Klassifikation schmerztherapeutischer Einrichtungen. Wien Med Wochenschr DOI 10.1007/s10354-017-0563-5
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