Berlin / Heilbronn (pts005/28.09.2017/07:45) – Vorstände deutscher DAX- und MDAX-Unternehmen sind schlecht auf die digitale Transformation und die sich daraus ergebenden Herausforderungen in einem sich schnell ändernden wirtschaftlichen Umfeld vorbereitet. Mit acht Prozent bringt nicht einmal jeder zehnte Vorstand aus vorherigen Jobs umfassende Digitalkompetenzen mit. Und nur jeder vierte von ihnen verfügt über substanzielle unternehmerische Vor-Erfahrung. Das sind die Ergebnisse einer umfassenden Analyse durch Prof. Dr. Julian Kawohl, Inhaber der Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (htw) in Berlin und Dr. Jochen Becker vom Investment Lab Heilbronn – einem Think Tank der Dieter Schwarz Stiftung. Die beiden Wissenschaftler analysierten 411 Lebensläufe von Vorständen aller 80 DAX- und MDAX-Unternehmen. „Zweifellos haben die wichtigsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands bei der Besetzung der Vorstandsteams großen Nachholbedarf in Bezug auf Entrepreneurship, Gründergeist und Digitalerfahrung. Hier nachzusteuern wird eine der größten Herausforderungen in den kommenden Jahren sein“, betont Prof. Dr. Kawohl.
SAP-Vorstand Bill McDermott mit höchsten Einzelwerten aller DAX- und MDAX-Vorstände
Für die Studie analysierten Kawohl und Becker sowohl die Unternehmenswebseiten und Geschäftsberichte als auch Profile in den Business-Netzwerken LinkedIn- und Xing nach einem umfassenden Scoring-System. Der SAP-Vorstand Bill McDermott weist mit 9 Punkten für digitale und unternehmerische Erfahrung die höchsten Einzelwerte aller DAX- und MDAX-Vorstände auf, gefolgt von Kim Hammonds von der Deutschen Bank mit 8 Punkten. Bei dem Vergleich der kompletten Vorstandsteams verfügen die Unternehmen Ströer, Schaeffler und SAP über die meiste Entrepreneurship-Erfahrung. Klarer Spitzenreiter bei der Gesamterfahrung in Bezug auf Digitalkompetenz im Topmanagement ist SAP, auf dem zweiten Rang gefolgt von einem Quintett aus Adidas, Airbus, Beiersdorf, Deutsche Bank und Telekom. Dahinter folgen BASF und Hochtief. „Dass SAP hier in der Spitzengruppe liegt, überrascht angesichts der digitalen Grundausrichtung des Unternehmens wenig. Dass aber jenseits solcher Sonderfälle extrem wenige Vorstände zuvor entsprechende Positionen in einem Software- bzw. Technologieunternehmen inne hatten und damit geringe digitale Vorkenntnisse mitbringen, hat uns doch ziemlich erstaunt“, sagt Prof. Kawohl.
Mindestens genauso groß war für die beiden Studienautoren die Enttäuschung bei der Vorerfahrung mit eigenem Unternehmertum. Nicht nur, dass lediglich 25 Prozent der Vorstände diese vorweisen können, z. B. durch eine Leadership-Position in einem Familienunternehmen oder die Gründung eines Start-ups. Zudem haben nur 9 von 80 DAX-Unternehmen bei der unternehmerischen Erfahrung einen Wert von 5 Punkten erreicht. Prof. Dr. Kawohl: „Diese Punktzahl hatten wir vorher definiert als Schwelle für ausreichenden Gründergeist und Unternehmertum.“
Schlechte Vorbereitung auf Herausforderung der digitalen Transformation
Das Ergebnis stellt das Auswahlverfahren der Vorstände in den DAX-Unternehmen grundsätzlich in Frage. „Wie sollen Vorstände, die vorher keine unternehmerischen Entscheidungen in Gründungs- oder Transformationsprozessen treffen mussten, dann als Vorstand in einem sich schnell verändernden wirtschaftlichen Umfeld riskante und gleichzeitig aussichtsreiche Prozesse anstoßen und durchsetzen“, so Prof. Kawohl. Dabei sei die digitale Transformation nur ein aktuelles Beispiel, aber nicht die einzige grundlegende Herausforderung „Offensichtlich wird der unternehmerische Ansatz bei der Auswahl von Vorständen nicht hoch genug bewertet – etwa im Vergleich zu erfolgreichen Karrieren als angestellte Führungskraft.“
Eine weitere Schwachstelle der Vorstandsteams sehen die Studien-Autoren im hohen Durchschnittsalter der Vorstände. Als Durchschnittsalter ergibt sich ein Wert von 52,6 Jahren. Das jüngste Vorstandsteam kommt von Zalando mit einem Durchschnittswert von 33,7 Jahren. „Bei Zalando gehören beispielsweise alle Vorstände der Generation Y (Jahrgang 1980 und jünger) an. Diese ist jedoch insgesamt nur mit knapp 1% in den Vorständen der DAX- und MDAX-Unternehmen vertreten“, so Prof. Dr. Kawohl: „Angesichts der Herausforderungen der neuen Technologie ist eine Verjüngung des Vorstandsteams und eine bessere Mischung der Altersstruktur sinnvoll.“ Prof. Dr. Kawohl empfiehlt, auch bei der Rekrutierung des Topmanagements für klassische Business-Ressorts sich in der Startup-Szene umzuschauen. Auch der Aufbau von Senior-Junior-Vorstandstandems zur gegenseitigen Befruchtung sowie die Besetzung des Aufsichtsrats und hier insbesondere des Nominierungsausschusses durch Personen mit Entrepreneurship- und Digitalerfahrung sei sinnvoll.
________________ Über die Professur für Strategisches Management der htw Berlin: Zentrale Inhalte der Professur für Strategisches Management und Case Studies der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sind die Themenbereiche Digital Management und Ecosystems sowie Corporate Entrepreneurship und Innovation. Primärer Fokus in diesen Themenfeldern sind Analysen, welche Möglichkeiten insbesondere für etablierte Unternehmen bestehen, im digitalen Zeitalter erfolgreich Geschäftsmodelle umzusetzen und sich dafür zu transformieren. Prof. Dr. Julian Kawohl hat die Professur seit April 2015 inne. Er verfügt über mehrjährige Strategie-Praxiserfahrung als Leiter Konzernentwicklung und CEO-Assistent in einem internationalen Unternehmen, die er mit wissenschaftlicher Fundierung kombiniert, um einen hohen Anwendungsimpact zu erzielen. Kawohl arbeitet mit einem umfassenden Netzwerk in Corporates, Startups, Consulting und Research und ist Senior Advisor für Unternehmen sowie regelmäßiger Key Note Speaker und Panel Moderator auf nationalen und internationalen Konferenzen. Mehr Informationen unter http://www.juliankawohl.de (Website von Prof. Dr. Julian Kawohl)
Über Dr. Jochen Becker: In Kooperation mit internationalen Kollegen forscht Jochen Becker zu den Themen Investoren-beziehungen und Finanzkommunikation. Seit 2013 leitet er das von ihm gegründete Investment Lab Heilbronn, ein Think Tank der Dieter Schwarz Stiftung. Ziel ist es, das Investment Lab Heilbronn als Denkfabrik für börsennotierte Wachstumsunternehmen und Venture Capital Akteure zu etablieren. Dr. Becker ist zudem Assistant Professor für Finanzkommunikation an der German Graduate School of Management and Law Heilbronn (GGS) und Senior Researcher an der ETH Zürich.
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