Bad Hofgastein (pts041/05.10.2017/19:00) – Wenn wir die vielen, bereits jetzt im Gesundheitsbereich gesammelten Daten wirklich gut nützen und auswerten, dann haben wir in Europa das Potential, zum Weltmarktführer bei Innovationen zu werden, so die Erwartung von Martin Seychell, dem bei der Europäischen Kommission für den Gesundheitsbereich zuständigen Generaldirektor. Bei dem derzeit laufenden 20. European Health Forum in Gastein wurden daher zahlreiche Chancen und auch Risiken diskutiert, die das Freigeben der gesammelten Daten für Forschung und Entwicklung mit sich bringt.
Martin Seychell: „Die öffentliche Hand wie auch die politischen Entscheidungsträger könnten ihre Entscheidungen dann auf Basis von tatsächlichen Fakten treffen. Aber es braucht eine nationenübergreifende Zusammenarbeit, damit hier rasche und gute Fortschritte erzielt werden können. Die Gesundheits-Generaldirektion wird daher noch heuer in der EU-Kommission einen Plan für den gemeinsamen Start der Nutzung von ‚Big Data‘ vorlegen, in dem auch Finanzierungsmodelle beinhaltet sein werden. Dabei ist nicht nur an Gelder aus den öffentlichen Budgets gedacht, man prüft auch Varianten mit Public-Private-fundings, Privatinvestitionen und Start-up-Involvierung. Österreich wird daher in seiner Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr ein intensives Diskussionsthema führend mitgestalten: Welche Wege gibt es, die gesammelte Daten so zu nutzen, dass dadurch die Gesundheit der Menschen und die Effizienz der Gesundheitssysteme entscheidend verbessert werden kann.“
Die führende Rolle in der Weiterentwicklung dieses Themas liege bei den einzelnen EU-Mitgliederstaaten, so Martin Seychell. Die gesammelten Datenmengen helfen uns nichts, wenn wir sie nicht organisiert einsetzen. „Wir brauchen einen systematischen Zugang, wir messen viele Dinge, aber wir müssen damit erreichen, dass offene Fragen beantwortet werden können.“ „Big Data“ hilft zum Beispiel, gute Voraussagen über erforderliches Gesundheitspersonal zu machen und rechtzeitig die Ausbildungen dafür zu starten, die erforderliche Infrastruktur zu errichten und dergleichen.
„Big Data“ unachtsam nutzen ist unethisch – sie nicht zu nutzen, auch
Professor Reinhard Riedl , Leiter des transdisziplinären BFH-Zentrum Digital Society, Bern, Schweiz: „‚Big Data‘ wird eine Grundvoraussetzung sein für Fortschritt in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens.“ Riedl sieht fünf große Herausforderungen in Bezug auf Big Data: die Daten für Forschung und Therapie zugänglich zu machen, die Chancen und Risiken von Big Data zu verstehen, die Zusammenarbeit in multidisziplinären Teams, die Barrieren für einen echten ethischen Diskurs ausserhalb der institutionellen Bürokratie zu senken und nicht zuletzt gegenüber politischen Entscheidungsträgern und Bürgern erfolgreich zu kommunizieren, was auf dem Spiel steht, wenn vorhandene Daten und damit vorhandenes Wissen nicht genutzt wird. Riedl: „Big Data unachtsam zu benutzen ist unethisch, Big Data nicht zu nutzen ist ebenfalls unethisch!“ Auf die Nationalstaaten wie auch die EU kommen große Aufgaben zu. Francesca Colombo von der OECD unterstreicht: „Regierungen müssen in Daten-Governance-Systeme investieren, so dass die Daten verknüpfbar, aber trotzdem privat und persönlich sind. Ohne diese Systeme sind die Daten nicht nutzbar, wodurch wertvolle Möglichkeiten verpasst würden.“
Anbei noch Zitate aus den Diskussionen beim European Health Forum Gastein:
Die Estnische EU-Ratspräsidentschaft setzt sich für eine starke Zustimmung der Mitgliedstaaten für die Förderung des Gesundheitswesens und die Nutzung von digitalen Daten ein. Die Absichtserklärung zur Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) der Mitgliedsstaaten welche reale Daten mit genetischen Daten verbindet, empfiehlt ein europäisches Konsortium zu gründen, das gemeinsam technische und rechtliche Ansätze zur Nutzung von sekundären Daten teilt, wie beispielsweise die ‚European Genomic and Health Data Bank‘. Das ist woraufhin wir arbeiten sollten. Die GDPR eröffnet die Möglichkeit der freiwilligen Zusammenarbeit von Mitgliedsstaaten. Ich hoffe dies wird genutzt und dass Gesundheitsminister starke politische Mandate vergeben, um das, was hier in Gastein besprochen wurde, umzusetzen.“ Ain Aaviksoo , Ministerium für Soziales, Estland
„Das Teilen von Daten über Grenzen hinweg ist entscheidend für seltene Krankheiten und persönliche Medikamente. Wenn wir die Möglichkeit haben Gesundheitsfolgen zu verfolgen, können wir daraus lernen und Wissen bestätigen, welches wir bereits haben. Fortschritte in personalisierten Gesundheitslösungen erfordern gemeinsame Datennutzung.“ Vinciane Pirard , Senior Director Public Affairs (Europe & International), SANOFI Genzyme
„Wir können von seltenen Krankheiten lernen, denn sie zeigen die Möglichkeiten von grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf. Elektronische Gesundheitsdaten existieren, aber das Problem ist, dass diese Daten weder nutzbar sind noch geteilt werden. Daten müssen nicht nur digitalisiert und analysiert werden, sondern wir müssen den Zugang auf regionale, nationale oder sogar internationale Ebene erweitern. Jeder Patient ist ein persönlicher Fall, wir müssen mehr über die Krankheiten wissen über schneller Behandlungen bieten zu können. Dies setzt allerdings politischen Willen sowie angemessen Daten- und Rechtsschutz voraus. Es ist zudem wichtig, dass Patienten Zugang zu ihren Daten und die Möglichkeit haben diese in ihrem Heimatland sowie anderen EU-Mitgliedsstaaten zu verwenden. Patienten müssen Teil des Datenmanagements sein.“ Terje Peetso , Head of Sector eHealth and Ageing policy, DG CONNECT, Europäische Kommission
„Es ist extrem zeitgerecht, dass am diesjährigen EHFG so viel Aufmerksamkeit Big Data und Forschung zukommt. Wir müssen uns allerdings bewusst sein, dass mehr Daten nicht unbedingt positiv sind, sondern wir uns darauf fokussieren sollten die vorhandenen Daten besser zu nutzen. In dieser Hinsicht können wir von der Zusammenarbeit verschiedener Akteure profitieren wie wir das in der All.Can Initiative tun um effizienter zu nutzen was wir haben.“ Wendy Yared , Direktor der Association of European Cancer Leagues (ECL)
Die 500 Teilnehmer des EHFG 2017 tauchen heuer vom 4. bis 6. Oktober in die Welt von „Big Data“ und technischen Innovationen ein. Die Gespräche zeigten auf, dass Big Data und technische Innovationen neue Möglichkeiten eröffnen, Gesundheitssysteme belastbarer zu machen, aber auch das Potenzial haben, disruptiv zu sein und die aktuelle Sicht auf Ethik und Pflegequalität herauszufordern.
Einige Akteure sehen „Big Data“ und technische Innovationen als eine Möglichkeit Patient besser überwachen zu können und Krankheiten effektiver vorzubeugen, einen besseren Zugang zum Gesundheitswesen zu gewährleisten sowie den Druck auf Gesundheitssysteme zu mildern. Andere hingegen warnen vor Risiken, weisen insbesondere darauf hin, dass das Justizsystems mit den sich schnell entwickelnden technologischen Neuerungen nicht Schritt halten könnte. Sie betonten die Notwendigkeit einer umfassenden gesetzlichen Regelung, um sicherzustellen, dass persönliche Daten von Patienten und Bürgern ausreichend geschützt sind.
Medienkontakt: Maria Weidinger-Moser, European Health Forum Gastein Kommunikation D-A-CH-Region Tel.: 0043 (0)664 16 15 987 E-Mail: weidinger(at)weikom.at
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Aussender: European Health Forum Gastein (EHFG) Ansprechpartner: Mag. Maria Weidinger-Moser Tel.: 0043 (0)664 16 15 987 E-Mail: weidinger@weikom.at Website: www.ehfg.org