Wien (pts027/28.06.2018/13:05) – Es gibt wissenschaftlich eindeutige, evidenzbasierte Ernährungsrichtlinien. Ihre Befolgung würde das größte Gesundheitsproblem Europas lösen.
Im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte und kommentierte das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) die neuesten Ernährungsrichtlinien der European Food Saftey Authority (EFSA). Sie definieren „gesunde Ernährung“ und könnten die größten gesundheitlichen Probleme Europas lösen – würden sie befolgt werden. Darüber hinaus erörterte das ÖAIE die dramatische ökonomische Bedeutung dieses Problems und forderte die Entscheidungsträger auf, neue Rahmenbedingungen für das Management und die Prävention ernährungsbedingter Krankheiten zu schaffen.
Ernährungsbedingte Krankheiten – Europas größtes Gesundheitsproblem
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Krebs, Erkrankungen der Atemwege: Die sogenannten NCDs (non-communicable diseases) machen in der EU 77 Prozent aller Krankheiten und 86 Prozent der frühzeitigen Mortalität aus. Ihr Zusammenhang mit nicht gesunder Ernährung und Übergewicht ist evident gegeben. „Die ernährungsbedingten Krankheitsauslöser sind vor allem eine zu hohe Aufnahme von Energie, gesättigten Fettsäuren, Transfetten, Zucker und Salz und eine zu geringe Aufnahme von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten“, fasste Univ. Prof. Dr. Kurt Widhalm, Präsident des ÖAIE, zusammen. Weltweit sind in 46 Ländern mehr als 50 Prozent der Erwachsenen übergewichtig oder adipös, in einigen Ländern sogar 70 Prozent. Übergewicht und Adipositas sind in 20 Ländern Europas für rund 320.000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich.
EFSA-Ernährungsrichtlinien
Die neuen, im Dezember 2017 veröffentlichten EFSA Ernährungsrichtlinien geben erstmals individuell je nach Alter, Geschlecht, dem sogenannten PAL (Physical Activity Level) und der individuellen Lebenssituation (z.B. Schwangerschaft, Stillzeit etc.) klar definierte Aufnahmeempfehlungen für Energie, Kohlenhydrate, Protein, Fett und Wasser.
So zeigen die Richtlinien, dass zum Beispiel die Kohlenhydrate als Richtwert 45 bis 60 Prozent der zugeführten Gesamtenergie ausmachen dürfen. Wobei eine Aufnahme von über 20% der Energie in Form von Zucker zwar Triglyceride und Cholesterin erhöhen können, doch gibt es laut EFSA-Richtlinien für eine Forderung nach einer Obergrenze oder einer Reduktion der Zuckeraufnahme auf unter 10 Prozent keine Evidenz. Dagegen senkten die EFSA-Richtlinien die empfohlene Zufuhr von Proteinen weiter auf 0,66g/kg Kg/d gegenüber dem aktuellen Referenzwert von 0,8/kg Kg/d. Ebenfalls genau definiert werden die Richtwerte für die Aufnahme von Fett (mind. 20 bis 35 Prozent der Gesamtenergie) und für diverse Fettsäuren.
Zusammengefasst lässt sich über die neuen EFSA-Richtlinien sagen, dass sie sich „evidenbasiert am aktuellen Stand der Wissenschaft befinden“ so Widhalm, und „sie die Grundlage für alle Ernährungs-Guidelines sein sollten“, wie der Ernährungsmediziner betont. Zudem hob Widhalm hervor, dass „länderspezifische Ernährungsempfehlungen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt“ seien, sondern dass „gesunde Ernährung“ gut definierbar sei für Menschen unter vergleichbaren Lebensbedingungen. „Gesunde Ernährung ist kein Mythos“, betonte Widhalm.
Ernährungspyramiden und bisherige Ansätze
Die bisherigen Ernährungsempfehlungen in Form von sogenannten „Ernährungspyramiden“, wie sie zum Beispiel in Österreich, Holland oder etwa in Belgien als eine auf die Spitze gestellte Ernährungspyramide vermittelt wurden, „erwiesen sich leider als völlig ineffektiv in Bezug auf die Änderung von bestehenden Ernährungsgewohnheiten“, erklärte Widhalm. Das ÖAIE bevorzugt dagegen die Darstellung der Harvard Medical School eines „gesunden Tellers“ mit vier unterschiedlich großen Anteilen von Gemüse, Obst, Vollkorn- und Eiweißprodukten. „Doch bleibt die Herausforderung bestehen, wie Ernährungsgewohnheiten tatsächlich geändert werden können“, so Widhalm.
Ökonomische Bedeutung ernährungsbedingter Krankheiten
Die mit Abstand bedrohlichste Formen aller ernährungsbedingten Krankheiten sind, gemessen an ihrer Gesamtbedeutung, Übergewicht und Adipositas. Rund 3,4 Millionen ÖsterreicherInnen sind übergewichtig (32 Prozent) oder adipös (14 Prozent), die Männer häufiger als Frauen (Übergewicht 39 zu 26 Prozent, Adipositas 16 zu 13 Prozent). „Was das an ökonomischer Belastung für unser Gesundheitssystem bedeutet, kann im Gesamten kaum seriös geschätzt werden“, sagte Gesundheitsökonom Dr. Markus Pock vom Institut für Höhere Studien. Alleine die medizinischen Kosten von Diabetes mellitus betragen – laut einer Johanneum Research Studie von 2015 – in Österreich rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr bzw. fünf Prozent der Gesundheitsgesamtausgaben.
An effektiven Präventionsmaßnahmen nennt Pock eine ganze Palette möglicher Maßnahmen: Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit, Vorsorgeuntersuchungen in Risikogruppen, verstärkte altersspezifische Aktivitäten in Schulen und Kindergärten, besser Kennzeichnungen auf Nahrungsmitteln und Getränken sowie höhere Steuern auf Tabakwaren und Alkohol.
Biochemische Grundlagen einer gesunden Ernährung
„Es sollte uns klar sein, dass aus biochemischer Sicht die Ernährung des Menschen in erster Linie der Deckung des Energiebedarfs dient“, sagte der Ernährungswissenschaftler und Biochemiker Doz. Dr. Clemens Röhrl. „Adipositas ist immer die Folge eines chronischen Energieüberschusses. Neben einer ausgewogenen Energiebilanz – die in unserer Kultur zum großen Teil leider nicht mehr stimmig ist – braucht es eine adäquate qualitative Zusammensetzung der Nahrung zur optimalen Funktion des Stoffwechsels“, erklärte Röhrl. Allen voran sind hier die gesättigten und ungesättigten Fettsäuren in ihrer Bedeutung für eine gesunde Ernährung zu nennen.
Guidelines-Management in der ärztlichen Praxis
„Nachhaltige Ernährungsumstellungen sind extrem schwierig und leider nur selten erfolgreich“, berichtete Dr. Gabriele Müller-Rosam, Internistin und Ernährungsmedizinerin, aus der Praxis. Die Ärztin bemängelte vor allen fehlenden Strukturen, fehlende Honorierungen und eine mangelnde ernährungsmedizinische Ausbildung der Ärzte als Hemmnisse für ein erfolgreiches Management ernährungsbedingter Krankheiten und deren erfolgreiche Prävention.
Forderung nach neuen Rahmenbedingungen
„Der Ball liegt damit – neben persönlichen Rettungsversuchen von Betroffenen – vor allem bei den Entscheidungsträgern“, reüssiert Widhalm. „Es gibt eine ganze Reihe bereits evaluierter Maßnahmen in der Behandlung vor allem aber in der Prävention ernährungsbedingter Krankheiten“, sagt Widhalm. Zusätzlich ist eine Bewusstseinsänderung für den Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und der Entstehung bzw. Verhinderung von vermeidbaren Krankheiten essenziell. „Was es braucht, ist Mut und Entschlossenheit, diese Herausforderungen auch anzupacken“, fordert der Ernährungsmediziner. „Denn sonst fahren wir mit unseren Ernährungsgewohnheiten und deren fatalen Folgen in einer absehbaren Zeit gegen die Wand“, sagte Widhalm abschließend.
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Das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) wurde 1996 auf Initiative des damaligen Präsidenten der Ärztekammer, Prim. Dr. Michael Neumann, mit dem Ziel gegründet, Ärztinnen und Ärzte im Fach der Ernährungsmedizin fortzubilden. Das ÖAIE ist interdisziplinär ausgerichtet und vereint unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Medizin, Psychologie, Ernährungswissenschaften, Diätologie, Sportwissenschaften und Nahrungsmittelproduktion. Als führende Fortbildungs- und Forschungs-Institution für Ernährungsmedizin in Österreich richtet es regelmäßig wissenschaftliche Veranstaltung aus und publiziert vierteljährlich das „Journal für Ernährungsmedizin“. Weitere Informationen unter: http://www.oeaie.org
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