Wien (pts024/06.07.2018/14:50) – Mit neuen Gentherapien unterschiedlicher Wirkweisen etablieren sich möglicherweise Behandlungsformen, die erstmals Patienten mit seltenen, erblich bedingten neuromuskulären Erkrankungen helfen können. Doch noch sind die Therapien außerordentlich teuer und auch nicht für alle Krankheiten und Betroffenen geeignet.
Ein therapeutisch düsterer Bereich unseres Fachgebiets waren bis vor kurzem die seltenen neuromuskulären Erkrankungen mit erblichem Hintergrund, denn es gab für betroffene Patientinnen und Patienten so gut wie keine Hoffnung auf Besserung oder Heilung. Glücklicherweise ändert sich das jetzt, und die Betroffenen profitieren zunehmend von der Erforschung und Entwicklung neuer genetischer Therapien.
Das Hauptprogramm und die vielen Satellitenprogramme des ICNMD-Kongresses bringen einige exzellente Präsentationen zu den neuen Therapien für erbliche neuromuskuläre Erkrankungen. Weil diese Therapien mit sehr hohen Kosten verbunden sind und auch nicht für alle erblichen neuromuskulären Erkrankungen in Frage kommen, bedarf es einer sehr sorgfältigen Diagnose, um beurteilen zu können, bei welchen Patientinnen und Patienten diese neuen Therapien erfolgreich angewendet werden können.
Hier ein kurzer Überblick über die wesentlichsten neuen Zugänge.
Enzymersatztherapie und Gen-Stilllegung
Erbliche neuromuskuläre Erkrankungen (hNM) beruhen auf Genmutationen. Diese führen in der Regel dazu, dass ein Protein nicht mehr funktioniert oder toxisch wird. Das Protein kann unterschiedlichste Funktionen haben. Ist das Protein ein Enzym, so kann den Betroffenen mit einer Enzymersatztherapie geholfen werden. Den Patientinnen und Patienten müssen dafür regelmäßig Medikamente intravenös verabreicht werden. Bei den Stoffwechsel-Erkrankungen Morbus Pompe und Morbus Fabry wird die Enzymersatztherapie erfolgreich eingesetzt.
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Transthyretin (TTR) Amyloidose, eine seltene vererbte, systemische, periphere Polyneuropathie, die am häufigsten in einigen Dörfern Nordportugals vorkommt. Die Betroffenen zeigen in ihrem dritten Lebensjahrzehnt schwere Symptome wie Impotenz und Polyneuropathien und versterben bald. Amyloid ist ein verändertes Protein, das sich auch in den Nerven ablagern kann. Vor rund 15 Jahren hat man herausgefunden, dass dieses mutierte Protein vor allem in der Leber entsteht. Die Behandlung der Krankheit bestand darin, sie durch eine Lebertransplantation zum Stillstand zu bringen. Seit rund zehn Jahren kann man aber den Erkrankten diese Transplantation ersparen und die Amyloid-Polyneuropathie stattdessen mit einer Enzymersatztherapie behandeln.
Für die Behandlung der Transthyretin (TTR) Amyloidose wird heuer voraussichtlich zusätzlich das Medikament Patisiran zugelassen. Der Wirkstoff beruht auf RNA-Interferenz beziehungsweise auf dem Prinzip der Gen-Stilllegung. Kurze RNA-Stücke führen dazu, dass komplementäre mRNa abgebaut wird. In diesem Fall schaltet Patisiran die kodierte mRNA aus und die Bildung des schädlichen TTR-Proteins wird verhindert.
Defekte Proteine ausbessern
Verursacht eine Mutation den Defekt eines Proteins, das für eine Zelle lebensnotwendig ist, stehen derzeit mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, um dies zu korrigieren, zum Beispiel mit Medikamenten: Werden Antisense Oligonukleotide regelmäßig zugeführt, verändert das zwar nicht die mutierte DNA, aber es korrigiert deren „Ablesung“. Dadurch kann die Zelle wieder ein funktionierendes Protein bilden. Ein solches Medikament wird seit dem Vorjahr bei der Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) eingesetzt und erwies sich vor allem im Frühstadium der Erkrankung als sehr erfolgreich. Diese Therapie hat allerdings auch heftige gesundheitspolitische Diskussionen ausgelöst: Das neue Medikament ist außerordentlich teuer und wahrscheinlich nur bei Kleinstkindern wirksam. Die Enttäuschung bei älteren Patientinnen und Patienten mit SMA ist verständlicherweise groß, da auch sie Hoffnungen in dieses Medikament setzen.
Auch bei der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne entwickeln sich neue Therapien wie Exon Skipping, Gen-Therapie und verschiedene andere Medikamente, die den Prozess verlangsamen.
Behandlung mit Virus und „Genschere“ und immunsuppressive Therapien
Eine weitere Methode der Gentherapie besteht darin, einem Organismus gesunde DNA zuzuführen, wenn er eine mutierte DNA in sich trägt. Die gesunde DNA wird mithilfe eines Vektors eingebaut, der in der Regel ein Virus ist. Somit kommt es zur Produktion eines gesunden Proteins. In ersten kleineren Studien wurden Säuglinge mit SMA erfolgreich mit einer einzigen Injektion behandelt. Diese Therapien könnten in den nächsten Jahren Einzug in den klinischen Alltag finden.
Die neueste vielversprechende Entwicklung der Gentherapie zur Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen ist die CRISPR-CAS9-Methode. Mit dieser „Genschere“ lässt sich die DNA chemisch an genau der Stelle ausschneiden, an der die Mutation sitzt. Der dann einsetzende Reparaturmechanismus eliminiert den Defekt, das entspricht einer genetischen Korrektur. Bei ersten Versuchen mit Mäusen konnte diese Behandlungsmethode den Erkrankungsbeginn von genetischer Amyotropher Lateralsklerose (ALS) verzögern.
Auch bei entzündlichen, nicht genetischen bedingten Krankheiten sind Fortschritte zu verzeichnen.
Immunsuppressive Therapien kommen bei entzündlichen neuromuskulären Erkrankungen zum Einsatz. Beispielsweise wird die Myasthenia Gravis bereits erfolgreich mit immunsuppressiven Therapien behandelt. Neu ist, dass bei dieser Erkrankung auch eine Substanz zur Komplementinhibtion eingesetzt werden kann, wenn eine Therapieresistenz zur Immuntherapie vorliegt.
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