Wien (pts018/22.06.2021/11:40) – Beinahe 1.200 Schüler, Eltern und Pädagogen beurteilen erstmals gemeinsam das österreichische Bildungssystem. Erhoben wurden im Rahmen einer breit angelegten, wissenschaftlichen Studie unter anderem Daten zum Schulklima, zu organisatorischen Rahmenbedingungen, zur Qualität des Unterrichts sowie zu den Arbeitsbedingungen an Schulen. Laut den Ergebnissen ist Österreich von einem „sehr gut“ für sein Bildungssystem noch weit entfernt. Vor allem bei der IT-Ausstattung der Schulen, in der Wirtschafts- und Finanzbildung, bei der Berufsvorbereitung und der Vermittlung von praktischen „Life Skills“ gibt es wesentlichen Verbesserungsbedarf. Große Unzufriedenheit herrscht bei Lehrkräften mit den persönlichen Arbeitsplätzen in Schulen und der geringen gesellschaftlichen Wertschätzung für pädagogische Berufe. Die Bildungsklima-Erhebung der MEGA Bildungsstiftung wird in Zukunft alle zwei Jahre wiederholt, um die allgemeine Entwicklung des österreichischen Bildungssystems und die Auswirkungen von Projekten und Reformmaßnahmen langfristig messbar zu machen.
Die Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungssystems wird in Österreich zumeist auf Basis der PISA-Tests und anderer Leistungsüberprüfungen bei Schülerinnen und Schülern beurteilt. Unter welchen organisatorischen und pädagogischen Rahmenbedingungen es zu diesen Ergebnissen kommt und wie zufrieden Schüler, Lehrer und Eltern mit dem Schulsystem sind, dazu gibt es allerdings bislang kaum Daten. Auch zu den Auswirkungen diverser Schulreformen, Schulversuche, Projekte, Kooperationen sowie öffentlicher und privater Förderprogramme auf die direkt Betroffenen gibt es kaum öffentlich verfügbare Informationen.
Um das zu ändern, hat die MEGA Bildungsstiftung ein wissenschaftliches Projekt zur Entwicklung eines langfristig einsetzbaren Bildungsklima-Index unterstützt und die Durchführung einer großen Studie zum Bildungsklima in Österreich ermöglicht. Befragt wurden 1.193 Schüler, Eltern und Pädagogen zu ihrer Zufriedenheit mit über 60 Einflussfaktoren, darunter: Organisatorische Rahmenbedingungen und Infrastruktur, Kompetenzvermittlung und Qualität des Unterrichts, Schüler-Lehrer-Eltern-Beziehung, Zufriedenheit mit dem Bildungssystem insgesamt, Wertschätzung von pädagogischen Berufen in der Gesellschaft, Innovationen sowie Arbeitsbedingungen von Pädagoginnen und Pädagogen. Jetzt liegen die Ergebnisse der ersten Bildungsklima-Erhebung dieser Art in Österreich vor. Die Daten und die über 200-seitige wissenschaftliche Begleitarbeit werden der Politik, den für Bildungseinrichtungen zuständigen Behörden und Bildungs-NGOs von der MEGA Bildungsstiftung zur Verfügung gestellt. Detailergebnisse sind zudem auf statista.com abrufbar.
Dazu Andreas Lechner, Generalsekretär der MEGA Bildungsstiftung: „Entscheidungsträgern in der Bildungspolitik, aber auch im Umfeld des Bildungssystems engagierten Institutionen, Unternehmen und NGOs stehen mit dem Bildungsklima-Index nun Daten zur Verfügung, die deutlich aufzeigen, in welchen Bereichen strukturelle Veränderungen und Innovationen im Bildungssystem notwendig und sinnvoll sind. Wir hoffen, dass wir mit der Erhebung einen Beitrag zu einer transparenten und sachlichen Diskussion, zu inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und damit zur Verbesserung unseres Bildungssystems sowie der Lernbedingungen für Kinder und Jugendliche leisten können.“
Chancenfairness, Wirtschaftskompetenz und „Life Skills“ als Mangelware
Mit der Qualität der Vermittlung von Unterrichtsfächern und Kompetenzen sind Österreichs Schülerinnen und Schüler in den Bereichen „Allgemeinbildung“ (33 % „sehr gut“, MW: 2,0), „Fremdsprachen“ (28 % „sehr gut“, MW: 2,2) und „Zusammenleben, Umgang und Kommunikation untereinander“ (28 % „sehr gut“, MW: 2,2) besonders zufrieden. Das gilt allerdings nicht für die Vorbereitung auf das Berufsleben sowie für wirtschaftliche und finanzielle Themen: Mit der Vermittlung von Wirtschaftskompetenzen und praktischen „Life Skills“ sind in Österreich alle drei Befragungsgruppen sehr unzufrieden.
Während die Schüler „Information und Vorbereitung auf eine weiterführende Ausbildung/Studium“, „Informationen über Berufsmöglichkeiten und die Vorbereitung auf die Arbeitswelt“ und „Wirtschaftliche Themen, Umgang mit Geld“ als Top 3 im Relevanzranking – vor den Hauptfächern – nennen, bewerten sie genau diese Themen jeweils nur mit einem Notendurchschnitt von 2,6. Der Bereich Wirtschaft und Geld erhält dabei mit 20 Prozent die wenigsten „sehr gut“-Bewertungen (7 % „nicht genügend“). Die Eltern benoten sowohl Informationen zu Ausbildung und Studium als auch die Vorbereitung auf die Arbeitswelt mit einem Mittelwert von 2,6. Noch strengere Zensuren verteilen sie für „Wirtschaftliche Themen, Umgang mit Geld“: Lediglich 17 Prozent finden deren Vermittlung „sehr gut“ (MW: 2,7). PädagogInnen hingegen sind mit der Vorbereitung auf weiterführende Ausbildung und Arbeitswelt ganz zufrieden: 35 bzw. 30 Prozent „sehr gut“ (MW je 2,2) ergeben ein deutlich positiveres Bild. Der Themenkomplex „Wirtschaftliche Themen, Umgang mit Geld“ schneidet aber auch bei den Lehrkräften am schlechtesten ab: Mit 17 Prozent „sehr gut“ (MW: 2,5) landet dieser bei allen drei Gruppen auf dem letzten Platz bezüglich Zufriedenheit mit der Qualität des Unterrichts und der Lehrinhalte.
„Besonders in den Allgemeinbildenden höheren Schulen vermissen die Befragten praxisnahe Unterrichtsinhalte und die Vermittlung von „Life Skills“. Auch der Zugang zu innovativen Projekten und Bildungskooperationen mit Vereinen und Unternehmen ist nach Schultypen und Bundesländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Von Chancenfairness für alle ist unser Bildungssystem in diesem Punkt noch weit entfernt“, so Mariella Schurz, Generalsekretärin der B&C Privatstiftung. Nach dem Themenschwerpunkt „Chancenfairness“ im letzten Jahr stellt die MEGA Bildungsstiftung deshalb 2021 eine weitere Million Euro zur Verfügung, um Projekte und Bildungsinnovationen im Bereich Wirtschaftskompetenz an Österreichs Schulen zu unterstützen.
Kompetenz und Motivation von PädagogInnen: Höchste Priorität, aber Luft nach oben
Bei den allgemeinen Rahmenbedingungen an Österreichs Bildungseinrichtungen reihen sowohl SchülerInnen (27 %) als auch Eltern (40 %) „Kompetente und motivierte PädagogInnen“ an die erste Stelle des Relevanzrankings. Beide sehen hier aber deutlichen Verbesserungsbedarf: Nur 21 Prozent der Schüler (vorletzter Platz nach Zufriedenheit) vergeben ein „sehr gut“ (MW: 2,4), bei den Eltern sind es immerhin 31 Prozent (Platz 6, MW: 2,1). Das Lehrpersonal räumt zwar der allgemeinen Ausstattung von Schulen höchste Priorität ein, sieht Kompetenz und Motivation aber auch auf dem zweiten Platz hinsichtlich Relevanz. Und ist offenbar selbst nicht sehr zufrieden damit: 24 Prozent „sehr gut“ und ein Durchschnitt von 2,2 signalisieren auch hier Luft nach oben.
Ein wesentlicher Faktor für den Mangel an Motivation dürfte die zu geringe gesellschaftliche Wertschätzung für den Berufsstand sein. Während der Aussage „LehrerInnen/Kindergartenpädagoginnen leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft in Österreich“ 85 Prozent der PädagogInnen voll zustimmen, tun dies nur 53 Prozent der Eltern und 31 Prozent der Schüler. Dringenden Verbesserungsbedarf signalisieren die Antworten auf die Frage, ob dieser Beitrag von den meisten Menschen anerkannt wird: Nur sechs Prozent der PädagogInnen, 19 Prozent der Eltern und 11 Prozent der SchülerInnen stimmen hier voll zu.
Allgemeines Lernumfeld und Schulorganisation bekommen in Österreich zumeist die Note „gut“
In Summe erhalten die allgemeinen Rahmenbedingungen aber sowohl von der Mehrheit der Schüler und Eltern als auch von über 50 Prozent der Pädagogen ein „sehr gut“ oder „gut“. Die Schülerinnen und Schüler bewerten dabei die Faktoren „Umgang mit Schülern mit nicht-deutscher Muttersprache“ (35 % „sehr gut“, MW: 2,1), die „Einteilung der Ferien und schulautonomen Tage“ (34 % „sehr gut“, MW: 2,0) und die „Kommunikationsmöglichkeiten (Chats, E-Mail, Videokonferenzen) mit Lehrerinnen und Lehrern“ (32 % „sehr gut“, MW: 2,1) besonders gut. Am unzufriedensten sind Schüler in diesem Bereich mit dem Umgang mit Konflikten in der Schule mit nur 17 Prozent „sehr gut“ (Mittelwert: 2,4).
Hohe Zufriedenheitswerte der Eltern gibt es beim allgemeinen Schulklima und wie gerne ihre Kinder in die Schule gehen (40 % „sehr gut“), bei den täglichen Unterrichtszeiten (37 %) und der Ferieneinteilung (36 %). Am unteren Ende der Zufriedenheitsskala bezüglich organisatorischer Rahmenbedingungen finden sich der Internet-Zugang in den Schulen (26 % „sehr gut“ vs. 39 % „befriedigend“ bis „nicht genügend“), der Umgang mit Konflikten (25 % „sehr gut“ vs. 34 % „befriedigend“ bis „nicht genügend“), sowie Computer und IT-Ausstattung (20 % „sehr gut“ vs. 48 % „befriedigend“ bis „nicht genügend“).
Das Lehrpersonal beurteilt folgende drei Faktoren mit Bestnoten: „Einteilung der Ferien und schulautonomen Tage“ (50 % „sehr gut“, 34 % „gut), Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund (39 % „sehr gut“, 42 % „gut“) und die Kommunikation mit Schülern via Chats, E-Mail, Videokonferenzen (37 % „sehr gut“, 31 % „gut“). Weniger positiv, aber immer noch mit guten Durchschnittsnoten (2,2 bis 2,7) schneiden „Computer und IT-Ausstattung“ (22 % „sehr gut“, 49 % „befriedigend“ bis „nicht genügend“) und die allgemeine Ausstattung der Schulgebäude und Klassenräume (21 % „sehr gut“, 46 % „befriedigend“ bis „nicht genügend“) ab.
Großbaustellen: IT-Ausstattung und Arbeitsplätze an Schulen
Besondere Unzufriedenheit herrscht in Summe mit der IT-Infrastruktur und den Internet-Zugängen an Schulen. Die Detailbetrachtung in den Bundesländern zeigt auf, dass der Handlungsbedarf bei IT-Investitionen regional sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. So bewerten etwa Wiener Schüler die Computer- und IT-Ausstattung wesentlich besser als jene im Burgenland, der Steiermark und in Kärnten.
Die Studie bestätigt zudem die bekannte Problematik, dass Lehrkräfte vor allem dann mit ihrem persönlichen Arbeitsumfeld in der Schule unzufrieden sind, wenn für Vor- und Nachbereitungsarbeiten des Unterrichts kein adäquater Arbeitsplatz – häufig mangelt es an Schreibtischen und sogar an Platz für Unterlagen – zur Verfügung steht. 43 Prozent der befragten Lehrer erachten Verbesserungen in diesem Bereich für dringend notwendig.
Nach weiterem Verbesserungsbedarf mit freier Antwortmöglichkeit befragt, nannte ein Viertel der PädagogInnen mehr „pädagogische Autonomie und Flexibilität“ bzw. „weniger Bürokratie“. Der hier anklingende Bedarf an Bildungsinnovationen wird aber in den Bundesländern offenbar sehr unterschiedlich behandelt: In Oberösterreich und Salzburg sehen 46 Prozent der Lehrkräfte innovative Unterrichtsformen als „stark unterstützt“ an, in Niederösterreich tun dies hingegen nur 16 Prozent (5 % geben sogar „stark behindert“ an).
Gesamtbeurteilung des österreichischen Bildungssystem nur durchschnittlich
Während die Schüler, Eltern und Pädagogen einzelne Faktoren sehr positiv benoten, fällt die Gesamtbeurteilung des österreichischen Bildungssystems deutlich schlechter aus: Von allen 1.193 Befragten vergeben lediglich neun Prozent ein „sehr gut“, 30 Prozent ein „gut“, 41 Prozent ein „befriedigend“ und 20 Prozent ein „genügend“ oder „nicht genügend“. Damit ergibt sich ein nur mittelmäßiger Notendurchschnitt von 2,8.
„Warum die Befragten das österreichische Bildungssystem eklatant schlechter beurteilen als einzelne Faktoren, sollte in weiteren Erhebungen geklärt werden. Naheliegend ist aber, dass – während klar abgegrenzte Themen aus persönlichen Erfahrungen beurteilt werden – das Gesamtbild von externen „klimatischen“ Einflüssen wie politischer und medialer Diskussion oder dem sozialen Umfeld geprägt wird“, so der Kommunikationsexperte Jürgen Gangoly, der eine wissenschaftliche Begleitarbeit und Dissertation zum Bildungsklima-Index erstellt hat.
Konkrete Handlungsfelder auf dem Weg zum „sehr gut“
Auf Basis des aus den Studienergebnissen erkennbaren tatsächlichen Bedarfs schlägt die MEGA Bildungsstiftung politischen Entscheidungsträgern und Schulbehörden verstärkte Investitionen und privaten Bildungsinitiativen eine inhaltliche Schwerpunktsetzung in folgenden Bereichen vor: – Mehr praxis- und projektorientierter Unterricht in allen Schultypen. Fächerübergreifende Kompetenzen und „21st Century Skills“ fördern. – Vorbereitung auf die Arbeits- und Berufswelt im Unterricht stärken. Experten aus der Praxis einbinden. – Peer-Learning-Programme aufbauen, die standortübergreifende Schulkooperationen und direkten Austausch zwischen Lehrpersonal und unter Schulleitungen fördern. – Initiativen forcieren, die praxisnahe Wirtschafts- und Finanzbildung im Unterricht und Kooperationen mit Vereinen und Unternehmen fördern (insbesondere an AHS). – Imagekampagne für Lehrberuf starten, Karriereperspektiven für Pädagoginnen und Pädagogen schaffen (z. B. Durchlässigkeit des Lehrberufs erhöhen, Aufstiegs- und Wiedereinstiegsmöglichkeiten). – Initiativen zur Verbesserung der persönlichen Beziehung und Kommunikation zwischen Schülern, Lehrern und Eltern starten. – IT-Ausstattung/Internetzugänge an Schulen inkl. digitaler Weiterbildungsangebote massiv ausbauen. – Raum und Arbeitsplätze für Lehrpersonal (Vor- und Nachbereitungsarbeiten und Teamarbeit) schaffen. – Mehr Chancenfairness bei der österreichweiten Verteilung (regional und Schultypen) von innovativen Projekten, Unterrichtsformen und Investitionen gewährleisten.
„Mit gemeinsamen Anstrengungen aller Institutionen und Partner im Bildungsbereich und der Fokussierung auf diese Schwerpunktthemen kann es gelingen, unser Bildungssystem von einem „befriedigend“ zu einem „sehr gut“ zu bringen. Das Ziel, in allen Bereichen über ein sehr gutes Bildungssystem zu verfügen, muss in einem reichen Land wie Österreich konsequent weiterverfolgt werden. Mit dem neuen Bildungsklima-Index können wir nicht nur den Status quo, sondern auch die weitere Entwicklung des Bildungssystems messen und Innovationspotenziale heben“, so MEGA-Generalsekretär Andreas Lechner abschließend.
Über die MEGA Bildungsstiftung Mit der Gründung der MEGA Bildungsstiftung https://www.megabildung.at bündelten die B&C Privatstiftung und die Berndorf Privatstiftung ihre Ressourcen und Aktivitäten bei der Bildungsförderung, um innovative Bildungsprojekte im schulischen und außerschulischen Bereich zu fördern, auszubauen und in ihrer Wirkung zu verbreitern. Die inhaltlichen Schwerpunkte der MEGA Bildungsstiftung liegen in den Bereichen „Chancenfairness in der Bildung“ und „Wirtschaftskompetenz für den Alltag“. Die MEGA Bildungsstiftung hat im September 2019 ihre operative Tätigkeit mit einem eigenen Büro in Wien aufgenommen. Als Mitglied des Expertenbeirats wirkt unter anderem Matthias Strolz mit, der sich schon in der Gründungsphase als Ideengeber eingebracht hat.
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Aussender: The Skills Group Ansprechpartner: Bettina Loidhold Tel.: +43 1 505 26 25 27 E-Mail: loidhold@skills.at Website: www.skills.at