Wien/Wr. Neustadt (pts020/06.06.2017/15:15) – „Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Fortschritte der Herz-Medizin maßgeblich zum Anstieg der Lebenserwartung in Mitteleuropa beigetragen haben“, sagt Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Xaver Roithinger (LK Wiener Neustadt), Präsident der ÖKG, auf einer Pressekonferenz anlässlich der ÖKG-Jahrestagung 2017, die unter dem Motto „Personalisierte Medizin versus vorgegebene Behandlungspfade“ steht. 1970 sind in Österreich 46.692 Menschen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verstorben, 2015 waren es bereits um 24 Prozent weniger (35.537), obwohl die Bevölkerung im selben Zeitraum um 16 Prozent gewachsen und auch deutlich älter geworden ist. Altersstandardisiert beträgt der Rückgang der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit seit 1970 unglaubliche 61 Prozent. „Betrachtet man nur die letzten zehn Jahre, ist die Herz-Sterblichkeit immer noch um 15 Prozent gesunken“, so Prim. Roithinger. Zum Vergleich: Bei den Krebserkrankungen hat die altersstandardisierte Sterblichkeit seit 1970 um 32 Prozent und seit 2005 um 11 Prozent abgenommen.
Wie die Kardiologie unser Leben verlängert
Dieser positive Trend setzt sich aus einer Vielzahl an Einzelerfolgen zusammen: So ist etwa die Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu überleben, eindrucksvoll gestiegen: Von den Infarkt-Patienten, die das Krankenhaus lebend erreichen, sterben heute weniger als fünf Prozent – vor vier Jahrzehnten war es fast jeder Dritte. Erklärbar ist das unter anderem mit einer optimierten Akutversorgung, mit der die Zeit der Unterversorgung des Herzmuskels deutlich reduziert werden konnte.
„Heute haben wir derart wirksame Möglichkeiten der Nachbehandlung, dass Infarkt-Patienten bereits mit einer weitgehend normalen Lebenserwartung rechnen können“, so Prim. Roithinger. So senkt die Einnahme von Statinen zur Cholesterinsenkung die jährliche Sterblichkeit um 25 Prozent, blutdrucksenkende ACE-Hemmer senken sie um 22 Prozent und Betablocker um 23 Prozent. Prim. Roithinger: „Das ist ein höchst wirkungsvolles Sekundärpräventions-Paket.“
Individuelle Therapieentscheidungen versus Leitlinienmedizin
Jetzt müsse es das Ziel sein, durch modernste Diagnostik und den Einsatz neuer, auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten ausgerichteter Therapieverfahren die Effektivität der Behandlung zu steigern, sagt der ÖKG-Präsident: „Dabei sehen wir, dass wir mit den Guidelines alleine oft nicht auskommen. Genaue Zahlen gibt es dazu keine, aber ich gehe davon aus, dass die Leitlinien für etwa jeden fünften Patienten nicht oder nicht ausreichend zutreffen.“
Guidelines seien kein unumstößliches Gesetz, und daher entscheiden Kardiologen auch heute schon – oft in Absprache mit anderen Fachrichtungen – in jedem Einzelfall über die bestmögliche Behandlung. Prim. Roithinger: „In Zukunft werden wir dabei aber zunehmend auch Unterstützung aus der Biomedizin und der Genetik bekommen. Personalisierte Kardiologie ist bereits heute mehr als nur ein Schlagwort.“
Gentests zunehmend wichtig für Risikoabschätzung, Betreuung und personalisierte Therapie
Schon heute leisten bestimmte Biomarker einen wichtigen Beitrag zur individualisierten Diagnostik und Therapie, etwa zur Früherkennung von Herzinfarkten und zur Abschätzung des individuellen Risikos (NTproBNP) oder zum Identifizieren von Patienten mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko und der Therapie-Kontrolle (Chemerin). Risikoscores (DAPT) sollen zum Beispiel zeigen, wer von einer verlängerten Plättchenhemmung profitiert und wer nicht.
„Zunehmend besser verstehen wir auch genetische Faktoren, die für ein familiäres Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen verantwortlich sind“, sagt Prim. Roithinger. „Damit gewinnen auch in der Herz-Medizin Gentests an Bedeutung: Sowohl für die Abschätzung des Risikos und die engmaschige Betreuung ausgewählter Personengruppen, als auch für eine personalisierte und auf die individuelle Situation eines Menschen zugeschnittene Behandlung.“
Eine durch einen Defekt in einem einzigen Gen hervorgerufene Krankheit ist die Hypertrophe Kardiomyopathie, eine seltene vererbte Verdickung der Herzmuskulatur der linken Herzkammer. Aber auch bei sehr häufigen Herzkrankheiten wie der Koronaren Herzkrankheit wurden komplexe genetische Einflüsse herausgefunden: Erst kürzlich wurden in einer Studie zusätzlich zu den bereits bekannten Genabschnitten sechs weitere Abschnitte beschrieben, an denen DNA-Veränderungen auftreten, die zu einem höheren Herz-Kreislauf-Risiko beitragen. Aber auch bei der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Therapien gibt es vermehrt Hinweise auf genetische Unterschiede.
Viele Herzrhythmusstörungen können genetisch bereits im Kindesalter festgestellt werden, die Krankheit zeigt sich aber oft erst Jahre oder Jahrzehnte später. Genetische Diagnosen geben in manchen Fällen Auskunft, wie sich der klinische Verlauf entwickeln kann und wann welche Behandlung erforderlich ist. Die Therapie kann dann auf den jeweiligen Gen-Untertyp abgestimmt werden.
Europäisches Referenznetzwerk
Auf EU-Ebene wurde jetzt ein Europäisches Referenznetzwerk gegründet, das sich mit der Erforschung und verbesserten Behandlung von einigen seltenen angeborenen Herzerkrankungen beschäftigt, etwa elektrischen Herzerkrankungen und genetisch verursachten Kardiomyopathien. Prim. Roithinger: „Hier dürften wir am Anfang einer Entwicklung stehen, die der Kardiologie sehr wesentliche Impulse geben kann.“
(Ende)
Aussender: B&K – Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung Ansprechpartner: Mag. Roland Bettschart Tel.: +43-1-319 43 78 E-Mail: bettschart@bkkommunikation.com Website: www.bkkommunikation.com