London (pts012/19.07.2017/09:30) – „Schlaganfälle gelten als die Epidemie des 21. Jahrhunderts“, begründet Prof. Raad Shakir, Präsident der World Federation of Neurology (WFN), warum der diesjährige World Brain Day unter dem Motto „Schlaganfall ist ein Gehirninfarkt – wirksam vorbeugen und behandeln“ steht. Der Welttag des Gehirns wurde von der WFN 2014 ins Leben gerufen und ist jedes Jahr einem anderen Thema gewidmet. Das Datum für diesen Welttag wurde nicht zufällig gewählt: Die WFN wurde am 22. Juli 1957 gegründet. „Wir wollen mit dieser Initiative dazu beitragen, die Zahl der durch Schlaganfall verursachten Todesfälle und Behinderungen zu reduzieren“, so Prof. Shakir.
Weltweit alle zwei Sekunden ein Schlaganfall
16 bis 17 Millionen Menschen jährlich erleiden weltweit einen Schlaganfall, für nahezu sechs Millionen endet er tödlich. Damit verlieren jedes Jahr mehr Menschen durch Schlaganfälle ihr Leben als durch AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammengenommen. „Jeder zehnte Todesfall wird von einem Schlaganfall verursacht – damit ist der Hirninfarkt weltweit die zweithäufigste Todesursache bei Menschen über 60 und zudem auch eine sehr häufige Ursache für dauerhafte und in vielen Fällen schwere Behinderungen“, fasst Prof. Shakir zusammen.
80 Prozent der Betroffenen leben in Entwicklungsländern
Global betrachtet sind im Laufe ihres Lebens ein Fünftel der Frauen und ein Sechstel der Männer betroffen. Zwar steigt das Risiko mit dem Alter – gefeit ist davor aber auch in jungen Jahren niemand: Nach WHO-Berechnungen ist der Hirninfarkt auch bei den 15- bis 59-Jährigen die fünfthäufigste Todesursache. Allerdings ist die Krankheitslast weltweit höchst unterschiedlich verteilt: „Gegenwärtig stammen rund 80 Prozent der Betroffenen aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“, so Prof. Shakir. In den Jahren 2000 bis 2008 übertraf die Schlaganfallhäufigkeit in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen diejenige in Ländern mit hohem Einkommen um 20 Prozent. Das zeigt, dass einen Schlaganfall zu erleiden, kein unabänderliches Schicksal ist sondern ganz entscheidend von den Lebensumständen abhängt. An diesen können und müssen wir arbeiten“.
Schlaganfall von der WHO als neurologische Krankheit anerkannt
Angesichts der wachsenden Bedeutung hat auch die Weltgesundheitsorganisation ihre Sicht auf die Krankheit geändert und in der International Classification of Diseases (ICD) neu definiert. „Die Kategorisierung von Schlaganfällen im ICD-10 war widersprüchlich und nicht mehr aktuell“, erklärt Prof. Bo Norrving, Vorsitzender des Global Policy Committees der World Stroke Organisation. „Schlaganfall war in die Kategorie der ‚Herz-Kreislauferkrankungen‘ eingereiht, transitorische ischämische Attacken wurden den Krankheiten des Nervensystems zugeordnet.“ In der neuesten Version, dem ICD-11, der im kommenden Jahr von der World Health Assembly beschlossen werden soll, wird die gesamte Gruppe der Empfehlung einer beratenden Expertengruppe folgend nun unter die neurologischen Erkrankungen subsummiert.
„Die aktuellsten Entwicklungen im ICD-11 trägt dem Umstand Rechnung, dass Schlaganfall eine Gehirnerkrankung ist und trägt zu einer besseren Klarheit und einem verbesserten klinischem Nutzen bei“, sagt Prof. Norrving. „Schlaganfall steht nicht mehr im Schatten anderer Herz-Kreislauferkrankungen und die Stellung von Schlaganfall als eine der am wichtigsten nicht-übertragbaren Erkrankungen, welche vorgebeugt und behandelt werden kann, wird gestärkt.“
Fortschritte machen Schlaganfälle immer besser behandelbar
„Es gibt wenige andere Krankheiten, deren Behandlungsmöglichkeiten sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten derart revolutionär verbessert haben“, sagt auch Prof. Stephen Davis, Immediate Past President der WSO. „Bis vor Kurzem standen wir einem Schlaganfall weitgehend machtlos gegenüber und konnten nicht viel mehr tun, als die Folgen halbwegs zu mildern – heute können wir sagen: Schlaganfälle sind behandelbar geworden“.
Den ersten großen Durchbruch brachte die Einführung der intravenösen Thrombolyse vor rund 15 Jahren. Dabei werden schlaganfallauslösende Blutgerinnsel in den Gehirngefäßen medikamentös aufgelöst. „Der breite Einsatz dieser Methode hat nicht nur viele Menschenleben gerettet sondern in vielen Ländern dieser Welt auch zu einem massiven Ausbau der neurologischen Infrastruktur mit eigenen Stroke Units geführt. Allein damit konnte die Sterblichkeit in nur einem Jahr um 20 Prozent gesenkt werden.“, weiß Prof. Davis.
In etwa zehn Prozent der Fälle sind die Verschlüsse in den Gehirngefäßen allerdings so massiv, dass die Thrombolyse nicht greift. Seit wenigen Jahren steht mit der endovaskulären Thrombektomie auch für diese Fälle eine Therapiemethode zur Verfügung: Dabei wird der Verschluss mit einem über die Leiste eingeführten Katheter wie der Korken einer Flasche durchbohrt und schließlich aus dem Gehirngefäß herausgezogen. Erst seit kurzem gibt es Daten, die zeigen, dass sich damit selbst Gefäßverschlüsse, die länger als sechs Stunden bestehen, erfolgreich behandeln lassen. „Zahlreiche internationale Studien haben gezeigt, dass die endovaskuläre Behandlung nicht nur eine Variante sondern einen gravierenden Fortschritt im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie darstellt“, so Prof. Davis.
Versorgungslage weltweit höchst unterschiedlich
Global betrachtet profitieren allerdings noch lange nicht alle Schlaganfallpatienten von diesen Errungenschaften. „Es gibt leider immer noch viele Länder, in denen eine neurologische Infrastruktur und geschultes Personal fehlen“, bedauert WFN-Präsident Prof. Shakir. „Während in wohlhabenden Ländern durchschnittlich immerhin drei Neurologen pro 100.000 Einwohner zur Verfügung stehen, sind es in den einkommensschwachen Regionen gerade einmal 0,03. Dass die Überlebenschancen nach einem Schlaganfall massiv davon abhängen, wo jemand lebt, ist ein unhaltbarer Zustand, den die WFN und ihre Partner mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen müssen“, fordert Prof. Shakir internationale Solidarität.
„Der Schlaganfall, seine Behandlung und Vorbeugung müssen in allen Ländern dieser Welt oberste Priorität auf der Agenda der Gesundheitspolitik haben“, fordert der Generalsekretär der WFN, Prof. Wolfgang Grisold. „Als Anwalt der Betroffenen werden wir nicht müde werden, eine gerechte Verteilung der Chancen nach einem Schlaganfall zu fordern und zu fördern“. Dazu müssten nicht nur alle Krankenhäuser mit spezialisierten Stroke Units ausgestattet und zumindest die Medikamente für eine basisversorgende Thrombolyse verfügbar gemacht werden. „Es ist von großer Bedeutung, die allgemeine Bevölkerung auf die häufigsten Risikofaktoren aufmerksam zu machen, vor allem auf Bluthochdruck. Ebenso gilt es, da Bewusstsein für Früherkennung und angemessene Behandlung zu schärfen, nicht nur im Akutfall, sondern auch langfristig. Da die Verbreitung von Schlaganfall-Patienten, die unter lebenslangen Behinderungen leiden müssen, noch sehr hoch ist, müssen Nationale neurologische und Schlaganfall-Gesellschaften Bemühungen hinsichtlich dem Ausbau stationärer Pflegeeinrichtungen treffen“, so Prof. Grisold.
10 Risikofaktoren für 90 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich
Ein großer Teil aller Schlaganfälle wäre vermeidbar. Das zumindest legen Daten der INTERSTROKE-Studie nahe. „Zehn beeinflussbare Risikofaktoren sind weltweit für 91 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich“, betont Prof. Michael Brainin, President Elect der WSO. „Das sind Bluthochdruck, Bewegungsmangel, ungünstige Blutfettwerte, Ernährung, das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang, psychosoziale Faktoren, Rauchen, Alkohol, kardiale Erkrankungen und Diabetes.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Auswertung der Schlaganfall-bezogenen Daten aus der Global Burden of Disease Study mit Zahlen aus 188 Ländern, wobei diese, ebenso wie andere aktuelle Arbeiten, auch den Risikofaktor Luftverschmutzung belegt.
Zu hoher Blutdruck gilt, einzeln betrachtet, als der weltweit größte Risikofaktor für Schlaganfälle. „Hypertonie ist fast für 50 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich und erhöht insbesondere auch das Risiko für Hirnblutungen, die oft zu besonders schweren Behinderungen führen“, erklärt der designierte nächste Präsident der WSO, Prof. Michael Brainin. „Weltweit ließen sich allein durch effektive Strategien zur Reduktion von Schlaganfällen mehr als 100 Millionen gesunder Lebensjahre gewinnen.“ Neben der effizienten Behandlung von Diabetes, erhöhten Blutfetten und Vorhofflimmern, der Vorbeugung von Übergewicht und Förderung vermehrter körperlicher Aktivität, setzen die Experten dabei auch auf einen baldigen globalen Rauchstopp.
Schlaganfälle rechtzeitig erkennen rettet Leben
„Neben der Vorbeugung müssen wir auch das Bewusstsein für das Erkennen und richtige Verhalten im Akutfall steigern“, weist der Vorsitzende des Public Awareness Committee der WFN, Prof. Mohammad Wasay auf ein weiteres Ziel des World Brain Days hin. Experten gehen davon aus, dass annähernd 70 Prozent der Patienten sogenannte transitorische ischämische Attacken, also vorübergehende Durchblutungsstörungen des Gehirns, und selbst leichte Schlaganfälle nicht erkennen. Selbst wenn Symptome erkennbar werden, zögert fast jeder Dritte, sofort ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Die Zeit zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Behandlung zu reduzieren, ist ein zentraler Faktor zur Verbesserung der Behandlungschancen und kann vielen Betroffenen ein Leben mit schwersten Behinderungen ersparen“, betont Prof. Wasay.
Um auch medizinischen Laien das Erkennen der sehr unterschiedlichen und oftmals diffusen Symptome zu erleichtern, erinnern WFN und WSO an einen einfachen Leitfaden, mit dem sich der Verdacht auf einen Schlaganfall leicht abklären lässt. Alles was Laien wissen müssen, lässt sich in dem Begriff FAST, also dem englischen Wort für „schnell“, zusammenfassen: * F wie Face (Gesicht): Bitten Sie die Person zu lachen! Hängt der Mundwinkel auf einer Seite herab? * A wie Arm: Bitten Sie die Person, beide Arme zu heben! Ist ein Arm gelähmt und sinkt nach unten? * S wie Sprache: Bitten Sie die Person, einen einfachen Satz zu wiederholen! Sind die Worte undeutlich? Kann sie den Satz korrekt wiederholen oder hat sie Schwierigkeiten ihn zu verstehen? * T wie Time (Zeit): Wenn eines der oben genannten Symptome auftritt, ist Zeit ein wichtiger Faktor. Rufen Sie sofort die Rettung und fahren Sie ins Krankenhaus.
Rehabilitation kann gelingen
„Nicht zuletzt will der World Brain Day den Betroffenen auch Mut machen“, sagt die heute 42-jährige Tal Federmann, die vor 14 Jahren selbst von einem Schlaganfall betroffen war. „Ich war schlagartig von einer glücklichen, jungen Frau in die totale Abhängigkeit gerutscht“, erzählt sie. Die erfolgreiche Architektin war ein Pflegefall, konnte nicht mehr aufrecht sitzen, sich nicht waschen und nicht mehr alleine Essen. Ein Jahr lag Federmann im Krankenhaus, kämpfte sich durch zahlreiche Reha-Maßnahmen, ehe sie wieder in den Kreis ihrer Familie zurückkehren konnte.
Ihre Erfahrungen hat Federmann in einem Ratgeber zusammengefasst und ist als Beraterin und Expertin für die Bewältigung der schwierigen Zeit nach einem Schlaganfall tätig. „Die Rehabilitation ist ein langer, manchmal lebenslanger Prozess, aber sie kann erfolgreich sein“, sagt sie. „Alleine schafft das niemand und es ist wichtig, dass er Unterstützung von Angehörigen und anderen Helfern hat. Doch dabei darf auf keinen Fall übersehen werden, dass auch die Unterstützer selbst überfordert sein und Hilfe brauchen können“.
World Brain Day Webinar Press Conference
WFN und WSO organisieren eine internationale Online-Pressekonferenz am Donnerstag, 20. Juli 2017, 12.00 UTC/14.00 CET. Der Einstieg zum Online Meeting Room findet sich hier: https://www.wfneurology.org/world-brain-day-2017 . Hier werden auch nach der Webinar-Pressekonferenz die Präsentationen sowie Aufnahmen der Statements verfügbar sein.
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Aussender: WFN – World Brain Day Press Office Ansprechpartner: Dr. Birgit Kofler Tel.: +49-30-700 159 676 E-Mail: kofler@bkkommunikation.com Website: www.bkkommunikation.com