Wien/Steyr (pts029/23.11.2017/13:15) – Die Patientensicherheit hat sich in der Anästhesie in den vergangenen rund 60 Jahren enorm verbessert wie in kaum in einem anderen Fach der Medizin. Die Anästhesiologie spielt eine Schlüsselrolle bei der Senkung der perioperativen Sterblichkeit und bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Patientensicherheit. Heute ist in Industrieländern mit einer perioperativen Komplikationsrate von 3 bis 16 Prozent zu rechnen, in 0,4 bis 2 Prozent aller Fälle kommt es zu bleibenden Schäden bzw. zu Todesfällen, berichtet Prim. Priv.-Doz. Dr. Achim von Goedecke, MSc (Stellvertreter Anästhesiologie, ÖGARI-Vorstand; Leiter des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin, LKH Steyr) auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin AIC 2017 in Wien.
„Auch wenn jeder einzelne Zwischenfall einer zu viel ist, spiegeln die genannten Zahlen doch eine beachtliche Erfolgsgeschichte wider“, zeigt Prim. von Goedecke die positive Entwicklung auf. Noch in den frühen 1940er-Jahren wurde die anästhesieassoziierte Mortalität auf 100 pro 100.000 Fälle geschätzt, in den 1960er-Jahren lag sie mit 80 von 100.000 immer noch sehr hoch. In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren gingen die Todesfälle auf 10 bis 30 von 100.000 Fällen dramatisch zurück – die Rate war damit aber immer noch 25 bis 75 Mal höher als heute. „Seit Ende der 1980er-Jahre und der Einführung weiterer Sicherheitsstandards und einer verbesserten Ausbildung schließlich beträgt sie nur noch 0,4 von 100.000“, bilanziert Prim. von Goedecke. Weltweit werden jährlich etwa 230 Millionen größere operative Eingriffe unter Narkose durchgeführt, die meisten davon ohne Probleme.
Immer mehr ältere Patienten mit komplexeren Problemen erhöhen das Risiko
„Trotz aller Bemühungen zeigen die Statistiken der letzten Jahre wieder einen leichten Anstieg bei der anästhesiespezifischen und generell der perioperativen Mortalität“, so Prim. von Goedecke. „Der Grund liegt nicht etwa darin, dass sich die Sicherheitsstandards verschlechtert hätten, sondern dass wir heute zunehmend immer ältere und immer kränkere Patienten anästhesieren und operieren.“ In Deutschland zum Beispiel ist die Zahl der Patienten mit chirurgischen Eingriffen, die über 75 Jahre alt sind, von 2,3 Millionen im Jahr 2006 auf 3,9 Millionen 2016 gestiegen, ihr Anteil an allen Operationen stieg von 18 auf mehr als 23 Prozent.
„Dazu kommt, dass heute immer schwierigere, komplexere Patienten auf den OP-Tisch gelangen, die früher gar nicht operiert worden wären, weil unter anderem technisch eben immer mehr möglich ist. Das alles macht die Operationen insgesamt risikoreicher“, so Prim. von Goedecke. Bei Patienten ohne relevante Systemerkrankungen liegt die anästhesieassoziierte Sterblichkeit weiterhin bei 0,0004 Prozent, während sie bei Patienten mit schweren Begleiterkrankungen um den Faktor 100 höher liegt. Prim. von Goedecke: „Das alles ist für uns ein Auftrag, noch intensiver am Thema Patientensicherheit weiter zu arbeiten.“
Zahlreiche Maßnahmen sollen Sicherheit weiter erhöhen
Studien zeigen, dass insgesamt in 30 Prozent der operativen Eingriffe unvorhergesehene Ereignisse („adverse events“) passieren. Ein Teil davon – etwa unvorhersehbare Nebenwirkungen – wird auch bei besten Vorkehrungen und höchsten Sicherheitsstandards unvermeidlich bleiben. Die Autoren einer im Deutschen Ärzteblatt publizierten Übersichtsarbeit gehen davon aus, dass die Hälfte aller Todesfälle durch weitere Verbesserungen vermeidbar wäre. Prim. von Goedecke: „An dieser Erhöhung der Patientensicherheit arbeiten wir laufend.“
2010 wurde vom European Board of Anaesthesiology (EBA) gemeinsam mit der European Society of Anaesthesiology (ESA) die Helsinki Deklaration zur Patientensicherheit publiziert und eine eigene Task Force gegründet, die mit einer Reihe von Maßnahmen für die Etablierung der darin festgelegten Standards gesorgt hat. Seit 2013 existiert auch eine Europäische Plattform, auf der Sicherheitswarnungen und Empfehlungen aus Europäischen „Incident Reporting“ Systemen gesammelt und zur Verfügung gestellt werden.
„Auch in Österreich sorgen wir durch zahlreiche Maßnahmen an unseren Abteilungen für eine kontinuierliche Verbesserung der Patientensicherheit: Das heißt wir setzen empfohlene europäische Standards für Sicherheit und Qualität in der Anästhesiologie um und haben Handlungsempfehlungen zur Beherrschung von kritischen klinischen Situationen entwickelt“, berichtete Prim. von Goedecke. „Diese bearbeiten wir unter anderem in Teamtrainings, in denen nicht zuletzt riskante Situationen simuliert und die adäquaten Reaktionen darauf geübt werden.“
Quellen: Deklaration von Helsinki zur Patientensicherheit in der Anästhesiologie, 2010; Gottschalk, André; Aken, Hugo Van; Zenz, Michael; Standl, Thomas: Is Anesthesia Dangerous?; Dtsch Arztebl Int 2011; 108(27): 469-74; DOI: 10.3238/arztebl.2011.0469; Johannes Wacker and Sven Staender: The role of the anesthesiologist in perioperative patient safety, Curr Opin Anaesthesiol. 2014 Dec; 27(6): 649-656; Boehm O, Pfeiffer, MKA, Baumgarten G, Hoeft A: Perioperatives Risiko und Letalität nach großen chirurgischen Eingriffen, Anaesthesist 2015; 64: 814-827.
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