Neue Möglichkeiten durch Genetik in der Medizin

Wien (pts024/25.04.2019/14:00) – Im Rahmen einer Pressekonferenz am 25. April in Wien informierte die Österreichische Gesellschaft für Senologie (ÖGS) über eine völlig neue Medikamentengeneration, die bei Frauen mit BRCA-Gendefekten, die an fortgeschrittenem Brustkrebs erkrankt sind, im Vergleich zu den bislang eingesetzten Chemotherapien, die Prognose deutlich verbessert. Ein weiteres, bislang bei der Osteoporose eingesetztes Medikament, soll bei noch nicht erkrankten Frauen mit einem BRCA1 Gendefekt die vorbeugende Entfernung von Brustgewebe oder Eierstöcken in Zukunft sogar überflüssig machen. Zu deren Anwendung und anderweitigen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten fordert die ÖGS eine breite und qualitätsgesicherte Verfügbarkeit genetischer Beratungen und Analysen.

Kenntnis des Mutationsstatus als Voraussetzung

Frauen die eine Genveränderung (Mutation) in einem der Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 tragen, werden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens an Brust- oder Eierstockkrebs erkranken. „Bislang war die Entfernung der gefährdeten Organe die einzige Möglichkeit, das Krebsrisiko wirksam zu reduzieren“, informiert ÖGS-Präsident und Leiter des Brustgesundheitszentrums der Medizinischen Universität Wien, Prof. Dr. Christian Singer. „Allerdings sind beide Operationen mit zum Teil starken Nebenwirkungen und Langzeitschäden verbunden. Aus diesem Grund nehmen nur wenige Frauen diese Möglichkeit der Risikoreduktion wahr“, so Singer.

Derzeit laufende internationale Studie mit Teilnahmemöglichkeit

Durchgeführte Forschungsarbeiten, unter anderem am Institut für Biomolekulare Analysen (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Josef Penninger, zeigten erstmals eine schonende und sichere Alternative zur Operation auf: Die Wiener Forscher konnten nachweisen, dass ein bereits seit längerem zur Behandlung der Osteoporose eingesetztes Knochenschutzmedikament im Tierversuch auch die Ausbildung von Brustkrebs verhindern kann – allerdings ausschließlich bei jenen Tieren, die eine Mutation in BRCA1 aufwiesen. Erste – außerordentlich ermutigende – klinische Daten bei BRCA Mutationsträgerinnen lassen einen vergleichbaren Effekt bei gesunden Frauen mit einer BRCA1 Mutation vermuten.

Mit dem Knochenschutzmedikament – es handelt sich um einen Antikörper gegen das Molekül „RANKL“ – lässt sich also nicht nur die Knochenstabilität verbessern, sondern auch ein wirksamer Schutz vor Brustkrebs erzielen – und das ohne große Nebenwirkungen. Eine internationale Studie soll nun diesen „doppelten Schutzeffekt“ beweisen. Auch in Österreich können noch nicht an Brustkrebs erkrankte Frauen zwischen 25 und 55 Jahren an der Studie teilnehmen, sofern sie sich noch nicht einer beidseitigen Brustentfernung unterzogen haben. Sie erhalten für die Dauer von 5 Jahren alle 6 Monate eine Spritze und werden besonders genau auf das Auftreten einer Krebserkrankung untersucht. Voraussetzung für die Teilnahme ist der Nachweis einer BRCA1 Mutation aus einer Blutprobe.

Neue Diagnostik-Möglichkeiten durch Liquid Biopsy

Mit „Liquid Biopsy“ wird die genetische Analyse von frei zirkulierenden DNA-Teilchen in Blut oder anderen Körperflüssigkeiten bezeichnet. Diese sind bei Tumorpatienten erhöht und stammen direkt vom Tumor. Die Methode erlaubt eine nicht-invasive Tumordiagnostik und gilt als eine der größten medizinischen Errungenschaften des letzten Jahrzehnts. „Vor allem im frühen Erkennen von Resistenzen während der Behandlung oder für spezifische Therapieentscheidungen eröffnen sich uns damit gänzlich neue Therapie-Möglichkeiten“, erklärt Prof. Dr. Gerda Egger, Leiterin der Molekularpathologie am Ludwig Boltzmann Institut Applied Diagnostics.

Die Vorteile dieser Diagnostiktechnik zeigen sich vor allem auch in begleitenden Monitorings über einen längeren Zeitraum hinweg. „Doch benötigen wir noch Studien mit großen Fallzahlen, um den Schritt vom Forschungslabor in die Klinik zu machen“, sagt Egger.

„Genetische Analysen aus operativ entferntem Tumorgewebe, die chemisch haltbar gemacht werden, können dagegen auch noch Jahre bis Jahrzehnte nach der Erkrankung erfolgen“, betont Prof. Dr. Zsuzsanna Bago-Horvath von der Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group. Sie können jederzeit vererbbare Keimbahnmutationen aber auch tumoreigene genetische Veränderungen sichtbar machen, die richtungsweisend für eventuelle weitere Behandlungen sind, so Bago-Horvath.

ÖGS fordert breiten Einsatz genetischer Beratungen und Analysen

„Wir sehen am Beispiel des neuen BRCA1- und BRCA2-Medikamenteneinsatzes, oder der Liquid Biopsy sowie in vielen weiteren medizinischen Bereichen – beginnend von der Diagnostik bis zur Therapie – dass genetische Beratungen und Analysen zunehmed den medizinischen Alltag bestimmen werden“, resümiert Singer.

„Fatal wäre es, wenn in Österreich – gerade in einer Zeit, in der die Information über den genetischen Befund unser ärztliches Tun immer mehr beeinflusst – die Verfügbarkeit von genetischen Beratungen und Analysen eingeschränkt wird. Gerade im Hinblick auf Möglichkeiten, die sich in der Vorbeugung von Krebserkrankungen in den kommenden Jahren eröffnen, muss eine qualitätsgesicherte Beratung und Diagnostik in weit größerem Maße möglich sein als heute. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass verunsicherte Betroffene vermehrt auf unseriöse private Gentest-Anbieter zurückgreifen“, befürchtet der Experte und verweist dazu auf eine jüngste Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Senologie vom 27.2.2019 zur Liquid Biopsy: https://senologie.org/fileadmin/media/documents/Stellungnahmen/Stellungnahme_Bluttest_Heidelberg_FINAL.pdf

Andere Länder seien hier bereits weiter, betont der ÖGS-Präsident. In England und Frankreich führen neben Fachärzten sogar bereits speziell geschulte Krankenschwestern und Genetiker Beratungsgespräche in guter Qualität durch, während etwa in Israel und Kanada in Zentren eine BRCA Analyse überhaupt ohne vorausgehende Beratung angeboten wird.

Die ÖGS fordert daher:

1. Die breite Verfügbarkeit von Molekulargenetischen Untersuchungen für Krebspatienten zur Ermöglichung einer maßgeschneiderten Krebstherapie.

2. Die Sicherstellung von ausreichenden niederschwelligen österreichweiten genetischern Beratungen durch Fachärzten mit entsprechender zusätzlicher Ausbildung.

3. Die Sicherstellung deren Finanzierung seitens der Sozialversicherungen. Diese ist auch ökonomisch sinnvoll, da sie teure Therapien zu vermeiden hilft.

Die Österreichische Gesellschaft für Senologie (ÖGS) ist ein interdisziplinäres Forum für Brustgesundheit, bestehend aus Gynäkologen, Chirurgen, Radiologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, plastischen Chirurgen und Pathologen. Sie unterstützt den Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen klinischen, diagnostischen und theoretischen Fachrichtungen auf den Gebieten der Medizin, der Biologie, der Physiologie und allen Personen, die sich mit Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Brustdrüse beschäftigen. Die ÖGS fördert darüber hinaus kooperative und interdisziplinäre Studien zur wissenschaftlichen Vertiefung der Kenntnisse in diesem Bereich. Weitere Informationen unter: http://senologie.at

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